Rede: ACTA ad acta legen und zeitgemäßes Urheberrecht entwickeln

Vizepräsidentin Schön: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hamann.

Abg. Hamann (SPD)*): Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist der Tag des geistigen Eigentums. Der Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI, hat dafür eine Demonstration pro ACTA organisieren wollen, und sie fand um 14 Uhr in Berlin statt. Er hat sich dann, so konnte man es gestern nachlesen, wieder davon distanziert. Es wurde, so habe ich es gelesen, eine Werbeagentur engagiert, die das dann machen sollte. In der Universität soll es Aushänge gegeben haben: Demonstranten gesucht, 100 Euro für zwei Stunden!

(Abg. D r . Güldner [Bündnis 90/DieGrünen]: Nicht schlecht! Liegt über dem Mindestlohn!)

Das ist ein guter Lohn! Ich weiß nicht, ob er steuerfrei ist oder wie das dann abgerechnet wird, wahrscheinlich wird es dann schwarz gezahlt. Ich habe vorhin im Internet gelesen, für die Demonstration in Berlin werden noch Teilnehmer gesucht, zurzeit seien dort mehr Polizisten als Demonstranten. Es stellt sich dann die Frage: Dürfen die Polizisten auch die 100 Euro annehmen?

Kurz zu den Kritikpunkten, weshalb dieses Abkommen schlecht ist, weshalb man dieses Abkommen nicht zustande kommen lassen darf! Einige Argumente sind schon angesprochen worden, ich will sie noch ausformulieren.

Erstens, geheime Verhandlungen! Seit 2006 wird dieses Vertragswerk verhandelt. Niemand weiß genau, wer mit wem verhandelt. Es werden verschiedene Firmen genannt, US-Firmen werden genannt, die EU-Kommission ist genannt worden, am Anfang waren es Japan und die USA, die dieses Abkommen vereinbaren wollten. Dieses Verhalten passt nicht mehr in die heutige Zeit.

Zweitens, auch das ist schon in den bisherigen Redebeträgen deutlich geworden: Es geht nur um Konzerninteressen, es geht nicht um die Allgemeinheit, es geht nicht um Menschen, und das lehnen wir ab!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/DieGrünen und bei der LINKEN)

Dritter Punkt: Wir hören ja immer, wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Warum gibt es keine öffentliche Dokumentation? Wo sind die Aufzeichnungen zu den verschiedenen Verhandlungsschritten? Wo sind die Nebenabreden? Nichts davon ist vorhanden! Erst auf massives Drängen hin wurde im Jahr 2010 ein erster Entwurf dem Europaparlament zugeleitet. So geht das nicht, Transparenz sieht anders aus!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/DieGrünen und bei der LINKEN)

Vierter Punkt: Das Abkommen ist sehr vage formuliert, man kann sehr viel hineininterpretieren. Warum macht man das? Damit später Gestaltungsspielraum vorhanden ist! Warum werden solche Sachen nicht vernünftig formuliert? Das ist auch ein Kritikpunkt.

Wie ist zurzeit der aktuelle Sachstand? Im Europäischen Parlament bahnt sich eine Mehrheit gegen dieses Abkommen an. Verschiedene Staaten, die es am Anfang unterstützt haben, Polen und Tschechien zum Beispiel, sind auch zurückgerudert. Der polnische Ministerpräsident hat sinngemäß gesagt, er habe am Anfang nicht alle Fakten gekannt, er lehne dieses Abkommen jetzt ab. Die Demonstrationen, die gerade angesprochen worden sind, die in den ehemaligen Ostblockstaaten ihren Anfang gefunden haben, scheinen dort gewirkt zu haben.

Die Bundesregierung hat am Anfang gesagt, ACTA finden wir gut, sie ist dann aber auch aufgrund der verschiedenen Aktionen, die es in Deutschland gegeben hat, etwas zurückgerudert. Die Behandlung des Abkommens ist ausgesetzt, es soll vorläufig nicht unterzeichnet werden.

Ich möchte kurz auf die Beschlussvorschläge eingehen, die wir in unserem Antrag formuliert haben:

Erstens, das Abkommen aussetzen, die Verhandlungen stoppen, das ist vollkommen klar, die Dokumente, die ich gerade angemahnt habe, veröffentlichen! Das Abkommen entspricht in keiner Weise einem transparenten Verfahren. Jeder Bebauungsplan, der in Bremen beschlossen wird, und zwar mit Bürgerbeteiligung, mit Beiratsbefassung, ist transparenter gestaltet als dieses Abkommen, das sich massiv auf alle Bürgerinnen und Bürger in dieser Welt auswirken wird. Das geht so nicht!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/DieGrünen und bei der LINKEN)

Interessant ist das Verhalten der Bundesregierung. Es liegt ein Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz, IFG, diese Dokumente offen zu legen, vor. Diesem Antrag ist mit der Begründung nicht stattgegeben worden – ich zitiere von der Internetseite –: „Es besteht die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, wenn die Dokumente, die dort verhandelt worden sind, veröffentlicht werden.“ Was muss das für ein Vertragswerk sein! Das ist Geheimdiplomatie, und die hat heute keinen Wert mehr!

(Beifall bei der SPD)

Zweitens, das Urheberrecht der digitalen Zeit anpassen! Herr Kollege Öztürk hat es gerade erwähnt, wir möchten nicht, dass Menschen von Wissen abgekoppelt werden. Die Digitalisierung lässt sich nicht aufhalten, auch wenn einige das nicht möchten. Sie möchten gern ihre alten Geschäftsmodelle aus der Zeit der Dampflokomotive in die heutige Zeit übertragen, das wird aber nicht funktionieren.

Zwei Beispiele! Es gibt den Paragrafen 52 b Urheberrechtsgesetz, der sich mit der Anzeige von elektronischen Dokumenten an sogenannten Leseplätzen beschäftigt. Sprechen Sie einmal mit Bibliotheken, wie viel Ärger es damit gibt! Das kostet Geld, und das ist nicht in Ordnung. Zweites Beispiel, das ist gerade in Polen gemacht worden. Dort, so hat man es der Tagespresse entnehmen können, sollen alle Schulbücher der Klasse 4 bis 6 unter eine Lizenz gestellt werden, sodass die Inhalte der Schulbücher beliebig vervielfältigt und benutzt werden können. Das ist ein vollkommen richtiger Weg, wenn wir Bildung ernst
nehmen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Drittens, eine wirksame Bagatellregelung! Es gibt einen Vorschlag der Bundesjustizministerin, dass das erste Abmahnschreiben maximal 100 Euro kosten soll, ein, wie ich finde, recht guter Vorschlag. Dieser Vorschlag wird aus politischen Gründen in diesem Kabinett zurzeit nicht vorangetrieben, und auch das ist nicht in Ordnung. Es geht hier um die Kriminalisierung von Schulen, und das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Das sieht, wie gesagt, auch die Justizministerin so. Viertens, es geht darum, die Rechte der Autoren zu stärken. Es wird ja immer vorgeworfen, mit ACTA solle die Kultur, alles sei kostenlos, eingeführt werden. Nein, das ist völliger Unsinn! Wenn man sich den Punkt 4 genau anschaut, geht es um sogenannte TotalBuyout-Regelungen. Was bedeutet das? Wenn ich einen Artikel schreibe und ihn an eine Zeitung sende, dann bekomme ich einmal Geld, egal was die Zeitung später mit dem Artikel macht, auch wenn es zu Verwendungen kommt, die in der Zukunft liegen. Ich bekomme als Urheber nicht mehr Geld, und genau das muss geändert werden.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN – Glocke)

Ich bin sofort fertig!

Das Fazit ist: ACTA stoppen, weitere Verhandlungen müssen durchsichtig gestaltet werden, wenn Verhandlungen geführt werden sollen. ACTA ist ein Angriff auf die Freiheit der Kommunikation. Das können wir nicht zulassen. Die entsprechende Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten ist eindeutig. ACTA ist der Versuch, Konzerninteressen über das Allgemeinwohl zu stellen. Das dürfen wir nicht durchgehen lassen. Bitte unterstützen Sie unseren Antrag! – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

[…]

Präsident Weber: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hamann.

Abg. Hamann (SPD)*): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Motschmann, vielen Dank für Ihren Vortrag, trotzdem möchte ich einiges noch kurz erläutern!

Sie sagten, das Abkommen sei gar nicht geheim, und zählten die Staaten auf. Die Staaten, die das Abkommen unterzeichnet haben, sind vollkommen uninteressant, entscheidend ist doch, welche Firmen an den Verhandlungen beteiligt gewesen sind. Ist es Sony gewesen? Sind irgendwelche US-Firmen beteiligt gewesen, die Filme verkaufen? Die Lobbyisten sind doch das Entscheidende. Ich wiederhole mich: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten! Setzen Sie sich bei Herrn Neumann dafür ein, dass die Liste endlich freigegeben wird, damit jetzt kein Prozess nach dem Informationsfreiheitsgesetz, IFG, geführt werden muss, um sie zu bekommen!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich sprach vorhin von dem Journalisten, der diesen Antrag gestellt hat. Binnen Tagesfrist sind 7.000 Euro gespendet worden, damit der Prozess geführt werden kann, um die Bundesregierung zu verklagen; genauso wie bei der Liste des Besuchs von Herrn Ackermann im Bundeskanzleramt. Darum geht es doch! Setzen Sie sich dafür ein, dass sie freigegeben wird, das ist ein Arbeitsauftrag!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zweiter Punk! Wenn Sie sagen, dort muss man noch ein paar Dinge nachsteuern, und Frau Wöhrl hat es aber vor Ihnen schon gewusst, dann ist es so auch nicht ganz richtig. Die Diskussionen werden ja schon ein bisschen länger geführt. Ich selbst hatte vor drei Wochen, als ich in Brüssel war, die Gelegenheit, mit einem der ACTA-Verhandler zu sprechen. Das klingt jetzt wieder ein bisschen dramatisch, war aber relativ harmlos.

(Abg. Frau Motschmann [CDU]: Geheimtreffen!)

Ein Geheimtreffen, aber ich berichte ja jetzt davon!

(Heiterkeit bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe keine Geheimnisse, ich habe ja nichts zu verbergen. Wer keine Geheimnisse hat, ist ein langweiliger Mensch. Er hat gesagt, er verstehe die Aufregung gar nicht, es sei doch alles vollkommen transparent, der Ministerrat sei immer informiert gewesen. Nein, das ist nicht transparent! Wo ist die Information für die Öffentlichkeit bei einem solchen Abkommen? Es wird nicht so einfach sein. Weiterhin sagte er, entweder komme es jetzt durch, oder es komme nicht durch. Dort wird nicht nachverhandelt, daher ist Ihre Einlassung, man müsste dort eventuell noch etwas machen, nicht ausreichend.

Nehmen Sie sich ein Beispiel an Frau Wöhrl, sie hat das Thema halbwegs umrissen und ist dort recht gut im Bilde.

Ich möchte noch aus einer Pressemitteilung der Internetseite www.futurezone.at, also aus Österreich, vom Februar dieses Jahres zitieren. Dort wird die slowenische Botschafterin, Helena Drnovsek Zorko, wie folgt zitiert: „Habe ACTA aus Unachtsamkeit unterzeichnet.“ Weiterhin steht dort – Zitat –: „Die slowenische Botschafterin wolle sich bei ihren Kindern und all den Menschen, die ihr Briefe und E-Mails geschrieben hätten, nun öffentlich für ihre Unterschrift entschuldigen. Doch der Grund für ihre offene Stellungnahme habe auch einen anderen Hintergrund. Sie wolle nicht länger öffentlich dämonisiert werden für etwas, das in Wahrheit die Regierung entschieden habe.“ An anderer Stelle heißt es: „und dann kommt es vor, dass man die Bedeutung dessen, was man unterschreibt, übersieht. Erst im Nachhinein werde einem dann bewusst, was tatsächlich geschehen sei.“

Die Zweifel an diesem Abkommen sind also sehr stark, auch bei den Menschen, die es aktiv vorangetrieben haben. Deshalb gibt es auch immer noch die Möglichkeit, die einzelnen Ziffern getrennt abzustimmen, Herr Werner hat soeben darauf hingewiesen.

In Ziffer 4 geht es genau darum, dass die Rechte derer, die Sie soeben aufgezählt haben, gestärkt werden. Diesen Ziffern könnten Sie doch wunderbar zustimmen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

[…]

Präsident Weber: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hamann.

Abg. Hamann (SPD)*): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich nichts mehr sagen,

(Abg. Kastendiek [CDU]: Das geht ja die ganze Debatte schon so!)

aber wenn Sie, Frau Motschmann, Herrn Staatsmnister Neumann zitieren und irgendetwas erzähle dann muss man darauf antworten. Das ist, glaube ich
ein bedingter Reflex.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Ist das der Reflex auf den Namen Neumann oder Motschmann?)

Nein, allgemein auf den Namen!

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Welchen denn nun?)

Ist doch egal!

(Heiterkeit)

Frau Motschmann, Sie sprachen gerade von einem Warnmodell. Ist Ihnen eigentlich klar, was ein Warnmodell bedeutet? Es muss allen Beteiligten klar sein, warum das auch nicht funktioniert, gerade in Ihrer Partei, weil sie ja Wirtschaftskompetenz für sich reklamiert. Herr Kastendiek muss jetzt zuhören, weil es nämlich ihn betrifft. Was bedeutet Warnmodell? Warnmodell bedeutet, dass ich jedes Datenpaket, das irgendwo durch die Gegend geschickt wird, auf seinen Inhalt hin prüfen muss. Ich vereinfache es jetzt einmal etwas an der Stelle. Beinhaltet es eine Musikdatei, die durch die GEMA verwaltet wird, ja oder nein? Dann muss ich irgendetwas machen. Das ist das Warnmodell, Sie müssen jedes Datenpaket öffnen!

Wenn man darüber kurz nachdenkt, dann bedeutet das natürlich Folgendes: Was machen die Anwender? Sie werden ihre Kommunikation verschlüsseln, und dann können Sie zwar Dateien öffnen, Sie sehen aber nicht mehr ihren Inhalt. Dann müssen Sie einen Schritt weitergehen – das haben die Franzosen vor zehn Jahren schon einmal probiert –, Sie müssen Verschlüsselungen verbieten, damit Sie sich den Inhalt anschauen können. Dann kommt die Wirtschaft mit ins Boot. Sobald Sie Verschlüsselungen verbieten – das macht heute keiner mehr ernsthaft, darauf läuft es aber hinaus –, ist weder Onlinebanking noch Ebay möglich, noch können Unternehmen wie Daimler-Benz Teile ihrer Produktion über internetgestützte Systeme abwickeln. Das alles ist dann vorbei. Das muss den Beteiligten klar sein, die sagen, wir wollen ein Warnmodell. Das ist den meisten nicht klar, aber das bedeutet es!

Wir übertragen es in die analoge Welt! Das ist genauso, als wenn Sie die Bundespost verpflichten würden, jeden Brief anzuschauen, zu öffnen und zu schauen, was der Brief enthält. Es könnte darin ja auch etwas Böses sein. Dann gibt es ein Stoppschild für die Haustür: Achtung, du hast einen Brief bekommen! Nein, das geht nicht, verabschieden Sie sich bitte von solchen Vorstellungen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD – Abg. Kastendiek [CDU]: Das habe ich jetzt nicht verstanden!)

Präsident Weber: Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Günthner.

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